Meine Schwiegermutter mag alles, was alt ist. In den Wintermonaten ist ihr Haus voll von antikem Weihnachtsglanz – Christbaumkugeln und Lametta aus dem 19. Jahrhundert zieren den Tannenbaum, in jeder Ecke steht eine antike Engelsfigur oder gleich eine ganze Krippe mit Holzfiguren, geschnitzt von fremden Händen in vergangenen Zeiten. Letztes Jahr hat sie uns stolz ihre neueste Errungenschaft gezeigt: an die 30 Kugeln aus grünem Flaschenglas, die adventlich dekoriert in einer Schale auf dem Küchentisch funkeln.
„Sie stammen aus dem Jahr 1870“, erzählt sie uns, was sie beim Antiquitätenhändler über die Kugeln erfahren hat. Im Inneren des Glases hätten lauter Zettel gesteckt. Der Händler habe erzählt, dass es Wunschzettel waren, die man in die Kugeln steckte und dann in der Kirche auf einen Ständer stellte, auf jeder Kugel eine brennende Kerze. Leider habe ich keinen Blick auf die Wunschzettel werfen können – meine Schwiegermutter sagte, dass sie kaum leserlich waren, in altdeutscher Schrift und nicht aus den Kugeln herauszubekommen, ohne das Papier komplett zu zerfleddern.
Auf den Kugeln ist eine Herstellerinformation zu lesen: „RUD. WEBER HAYNAU I/SCHL.“ ist in einem Band rund um die Kugel geprägt. „Das ist bestimmt in Schlesien“, war unsere Vermutung. In diesem Punkt lagen wir richtig – allerdings erfüllten die Kugeln ursprünglich keineswegs weihnachtliche Zwecke. Bei der Internet-Recherche fand ich einen englischsprachigen Text der amerikanischen Sammlerzeitschrift „Antique Bottle & Glass Collector“, der sich mit so genannten „target balls“ befasst – offenbar sind die Kugeln Vorgänger der besser bekannten Tontauben, die für Schießübungen verwendet wurden. Umso schöner, dass die hübschen Glaskugeln offenbar auch zu solch friedlichen Zwecken verwendet wurden… aus Zielen für Schießübungen wurden hübsche Gefäße für hoffnungsvolle Weihnachtswünsche. Wer selbst noch ein wenig weiterforschen möchte: http://www.glasstargetballs.com/